Nachhaltigkeit und IT – Kostentreiber oder Innovations-Dreamteam?

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Digitalisierung und Nachhaltigkeit zählen zu den grundlegenden Herausforderungen für Unternehmen. Die Rolle der IT in diesem Kontext wird oft übersehen. Mit ‘Green IT’-Massnahmen gestalten die IT-Abteilungen den Lebenszyklus der ICT umwelt- und ressourcenschonend und reduzieren den Ressourcenverbrauch. Doch reicht es, wenn sich der Anspruch von IT-Führungskräften darauf konzentriert, dass Nachhaltigkeit im Unternehmen möglichst effizient und effektiv umgesetzt wird?
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In einer Welt, die von ständigem technologischem Fortschritt geprägt ist, stehen wir vor der Herausforderung, Innovation nicht nur im Hinblick auf Effizienz und Leistung zu betrachten, sondern auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. ESG, ein Akronym für die Bereiche Environmental, Social und Governance, ist heute nicht nur ein Buzzword, sondern ein Schlüsselbegriff, der die Grundlage für eine verantwortungsbewusste und zukunftsorientierte Welt bildet.

ESG-Kriterien stellen eine Vorgabe dar, die Unternehmen dabei unterstützt, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen ihres Handelns zu bewerten und zu verbessern. Doch wie genau betrifft das die Welt der Informationstechnologie? In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die Rolle von ESG in der IT-Welt und zeigen auf, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine moralische Pflicht ist, sondern auch Innovationen vorantreiben kann. 

Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand: Warum auch kleine Unternehmen jetzt liefern müssen

Die Nachhaltigkeitsthematik ist kein neugeschaffenes Phänomen. Wenn wir in die 1960er und 1970er Jahre zurückblicken, wurden erstmals Gelder von Anlegern aus Südafrika abgezogen, um gegen das Apartheid-System des Landes zu protestieren. Viele andere Anliegen folgten, die ebenfalls Strategien für sozial verantwortliche Investitionen vorantrieben. Damals liefen solche Vorhaben unter dem Begriff’ ESG-Investing’. Das Thema hat sich über die Jahre stetig weiterentwickelt und wurde von vielen verschiedenen Staaten aufgegriffen. In der EU wurde 2023 die Corporate Sustainability Reporting Directive verabschiedet, welche von gewissen Firmen künftig verlangt, einen Nachhaltigkeitsbericht zu publizieren. Auch KMUs werden davon betroffen sein, denn ab 2026 müssen auch die kleinsten Firmen in den EU-Staaten einen solchen Bericht publizieren. Die Schweiz hat es den Nachbarstaaten gleich gemacht und mit dem neuen Gesetz, OR Artikel 964ff, eine Grundlage für Nachhaltigkeitsberichte in der Schweiz geschaffen. Ab dem Geschäftsjahr 2024, müssen Publikumsgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitenden, mindestens 20 Millionen Schweizer Franken Bilanzsumme oder / und mindestens 40 Millionen Schweizer Franken Umsatz einen Bericht über die Themen Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption publizieren.

Die Gesetzgebung in der Schweiz zieht aktuell nur grosse Firmen in die Verantwortung. Doch auch KMUs sind von den gesetzlichen Änderungen betroffen, wenn auch nur indirekt: Da grosse Firmen ihre Lieferketten im Bericht korrekt abbilden müssen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die zuliefernden KMUs Transparenz über ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen aufzeigen müssen.

Scania – Nachhaltigkeit und Rentabilität gehen Hand in Hand

Mit dem sich verändernden Markt und steigenden Erwartungen der Kunden und der Gesellschaft an nachhaltige Lösungen, eröffnen sich Marktchancen. Die Verbindung von Nachhaltigkeit und Innovation, um Kunden echten Mehrwert zu bieten, ist gleichzeitig der beste Schutz gegen Greenwashing. Überraschenderweise wird in Bezug auf Nachhaltigkeit oft wenig über die Rolle der IT-Abteilungen gesprochen, obwohl Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu den grundlegenden Herausforderungen für Unternehmen gehören. Digitale Technologien können die nachhaltige und innovative Entwicklung von Unternehmen massgeblich unterstützen, wenn sie effektiv und effizient eingesetzt werden. Die IT-Abteilungen haben die Chance, als proaktiver Business Partner digitale Prozesse für innovative Geschäftsmodelle nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft mitzugestalten und umzusetzen. Ein spannendes Praxisbeispiel dafür, wie Technologieentwicklung und Nachhaltigkeit innovativ vereint werden können, ist der schwedische Lkw-Hersteller Scania.

Scania hat ein Servicepaket entwickelt, das Lkw, Sensoren, Konnektivität und Software für Lkw-Flottenbetreiber umfasst. Es überwacht die Nutzung und bietet dem Fahrer Schulungen, unterstützt bei der Routenplanung und der optimalen Nutzung von Beladung und Bremsen. Mit anderen Worten: Es handelt sich um ein Portfolio von Lösungen, die sich gegenseitig unterstützen. Aus nachhaltiger Sicht führt dies zu geringerem Wartungsbedarf und einer verbesserten Ersatzteilbewirtschaftung aufgrund besserer Planung, reduziertem Kraftstoffverbrauch und verlängerter Lebensdauer der Reifen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist für die Kunden von entscheidender Bedeutung, dass sich die operative Marge und die Gesamtauslastung der Flotte erheblich verbessern. Scania hat Nachhaltigkeit erfolgreich in seine Unternehmensstrategie integriert, um Kunden bei der Bewältigung des Übergangs zu einer nachhaltigen Transportbranche zu unterstützen. Das schwedische Unternehmen ist ein Paradebeispiel dafür, wie Nachhaltigkeit und Profitabilität sich durch Innovation gegenseitig unterstützen können, anstatt in Konflikt zu geraten.

Ohne Daten keine nachhaltige Unternehmensentwicklung

Das Scania-Beispiel zeigt eindrücklich, wie die IT eine Schlüsselrolle in der Umsetzung von Nachhaltigkeit und Innovation spielen kann, die über die Ziele von Green IT hinausgeht. Bei Scania haben die Geschäftsleitung und die IT-Verantwortlichen den Fokus konsequent auf den nachhaltigen Nutzen für Kunden gelegt und sich gefragt, welche Technologien die Erreichung der gesetzten Ziele massgeblich und messbar unterstützen. Der Übergang von linearen Wertschöpfungsketten nach dem Motto “NEHMEN – HERSTELLEN – ENTSORGEN” hin zu zirkulären und innovativen Geschäftsmodellen wird in Zukunft noch wichtiger für die Unternehmensentwicklung. Zirkuläre Geschäftsmodelle basieren auf digitalen Prozessen und Plattformen, die verschiedene Anspruchsgruppen entlang der Wertschöpfungskette vernetzen und den Datenaustausch ermöglichen. Bezogen auf ESG bedeutet dies, dass Daten generiert werden müssen, welche der Unternehmensführung faktenbasierte Entscheidungen ermöglichen. Vereinfacht gesagt: Ohne Daten keine nachhaltige Unternehmensentwicklung. Die strukturierte Vernetzung von Daten gehört zur Kernkompetenz der IT. Denn IT-Abteilungen haben die Werkzeuge und Technologien, um Daten aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance zu sammeln, zu analysieren und transparent darüber zu berichten.

IT als Sparring-Partner für Nachhaltigkeit

ESG und Kreislaufwirtschaft bilden entscheidende Treiber für die Digitalisierung. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Umsetzung von guten Absichten in konkrete Massnahmen Unternehmen vor grosse Herausforderungen stellt. Die Integration von Nachhaltigkeitsmassnahmen in die Unternehmensstrategie ist oft eine Hürde für Führungskräfte. Hinzu kommt, dass das Vorgehen für die operative Umsetzung in den Geschäftsprozessen und IT-Systemen oft unklar ist. Um von linearen zu geschlossenen Kreislauf-Prozessen überzugehen, müssen Unternehmen verschiedene Bereiche und Lieferketten für durchgängige Prozesse in Bezug auf Nachhaltigkeitskennzahlen verknüpfen. IT-Abteilungen können hier helfen, indem sie Technologien identifizieren, die die ESG-Ziele unterstützen, und sicherstellen, dass die IT-Infrastruktur diesen Anforderungen gerecht wird. Von IoT (Internet der Dinge) bis zu künstlicher Intelligenz und erneuerbaren Energien – die IT hat das Potenzial, echte Veränderungen herbeizuführen. Nachfolgend zur Konkretisierung weitere, nicht abschliessende Beispiele wie IT bei der Realisierung von Lösungen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie beitragen kann:

  1. Daten und Analysen für ESG-Kennzahlen: Die Messung der Nachhaltigkeit basiert auf Daten. Digitale Technologien können Unternehmen die Analysen liefern, die sie benötigen, um ESG-Kennzahlen zu verfolgen und zu verbessern. Zum Beispiel können IoT-Sensoren den Wasserverbrauch oder die Abfallproduktion überwachen, und KI kann Muster analysieren, um Wege zur Reduzierung des CO2-Fussabdrucks eines Unternehmens vorzuschlagen.

  2. Compliance-Einhaltung: Die gewonnenen Daten helfen dabei, komplexe globale Gesetze einzuhalten. Internationale regulatorische Anforderungen hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung erfordern mehr Transparenz in den verschiedenen Geschäftsbereichen entlang der Wertschöpfungskette.

  3. Automatisierte Governance: Digitale Tools können eingesetzt werden, um Governance-Aufgaben zu automatisieren, die Einhaltung von Vorschriften sicherzustellen, interne Kontrollen zu überwachen und sicherzustellen, dass die Best Practices im gesamten Unternehmen konsistent angewendet werden.

  4. Risikomanagement: Fortschrittliche Analysen können dazu beitragen, Risiken in der Lieferkette zu identifizieren und zu mindern, von operationellen und finanziellen Risiken bis hin zu Compliance- und Reputationsrisiken.

  5. Supply-Chain-Optimierung: Digitale Technologien helfen bei der Überwachung und Optimierung der Lieferkette. Dadurch wird sichergestellt, dass Unternehmen mit Partnern zusammenarbeiten, die sich an Nachhaltigkeitspraktiken halten, um die Gesamtumweltbelastung zu reduzieren und faire Arbeitspraktiken zu gewährleisten. Diese Tools können auch bei der Bereitstellung von Compliance-Schulungen für Mitarbeitende helfen, um sicherzustellen, dass sie Best Practices und Sicherheitsprotokolle verstehen. Digitale Technologien wie Blockchain können vollständige Transparenz bei der Beschaffung von Materialien bieten und sicherstellen, dass sie nachhaltig und ethisch beschafft werden.

  6. Optimierte Logistik für weniger Abfall: Digitale Supply-Chain-Tools können Routen und Zeitpläne für den Transport optimieren und so den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen reduzieren. Sie können auch den Bestand effizienter verwalten und den Abfall durch Überproduktion oder Verderb minimieren.

Der Mensch im Mittelpunkt – die soziotechnische Perspektive als Erfolgsfaktor

Strategie, Technik und Prozesse bilden die Erfolgsfaktoren der Sachlogik. Verschiedene Studien zeigen jedoch: Transformationsprogramme und Projekte scheitern in erster Linie, weil der Psychologie der Menschen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Mitarbeitende und Kunden müssen verstehen, warum Nachhaltigkeit strategisch und operativ für sie Sinn macht. Ein professionell geführter Veränderungsprozess ist daher unerlässlich. Dies war auch bei Scania der Fall. Der Prozess begann beim Management, der Verwaltungsrat und CEO agierten als Trainer. Dabei wurde der Grundsatz verfolgt, ein exploratives Vorgehen mit einer offenen Dialogkultur zu verbinden: Das ganze Management konnte so viele Warum-Fragen stellen, bis alle verstanden, was Nachhaltigkeit für die Zukunft des Unternehmens und das persönliche Führungsverhalten bedeutet.

Fazit

ESG und Nachhaltigkeit sind keine vorübergehenden Trends, sondern feste Bestandteile der Geschäftswelt geworden. Denn der regulatorische Druck auf Schweizer KMU wird wohl noch stärker zunehmen. Nachhaltigkeit muss immer Wirtschaftlichkeit zum Ziel haben und sollte deshalb nicht als Randthema, sondern integral in der Unternehmensstrategie und im Geschäftsmodell implementiert werden. Wenn Unternehmen Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung in den Mittelpunkt ihrer Geschäftstätigkeit stellen, können sie nicht nur ihre ESG-Ziele erreichen, sondern auch Innovationen vorantreiben und Wettbewerbsvorteile schaffen. IT kann dabei nicht nur bei der Datensammlung und -verarbeitung helfen, sondern auch eine wertorientierte IT-Strategie entwickeln. Diese fördert Nachhaltigkeit mit einer strukturierten Vernetzung der Anspruchsgruppen entlang der Wertschöpfungskette und stellt der Führung Daten zur Verfügung, welche faktenbasierte Entscheidungen ermöglichen. Denn es gilt: Ohne Daten keine nachhaltige Unternehmensentwicklung. IT-Abteilungen haben somit jetzt die Chance, sich als innovativer Sparringspartner der nachhaltigen Unternehmensentwicklung zu positionieren. Denn die Zukunft der Wirtschaft liegt an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit, Innovation und (IT) Technologie.

ESG kurz erklärt

Environment (Umwelt): Befasst sich mit der Leistung eines Unternehmens als Verwalter der Umwelt und konzentriert sich dabei auf Themen wie Kohlenstoffemissionen, Abfallmanagement und Wasserverbrauch.

Social (Soziales): Untersucht, wie ein Unternehmen seine Beziehungen zu Mitarbeitenden, Lieferanten, Kunden und den Gemeinden, in denen es tätig ist, verwaltet. Dazu gehören Bereiche wie Arbeitnehmerrechte, Gesundheit und Sicherheit sowie Produkthaftung.

Governance (Unternehmensführung): Bezieht sich auf die Führung eines Unternehmens, die Vergütung von Führungskräften, interne Kontrollen und Aktionärsrechte.

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André Fischer

Senior Strategic Consultant

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