InCube Challenge – Think inside the box

Spätfolgen von Diabetes und wie digitale Lösungen zu deren Prävention beitragen können

Lesezeit 3 min

Im Rahmen der InCube Challenge 2022 sprach Dr. Thomas Böni mit uns über das diabetische Fusssyndrom und wie es erfolgreich behandelt wird.
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Dr. Thomas Böni, was ist unter einem diabetischen Fusssyndrom zu verstehen? 

Damit ist eine Schädigung des Fusses infolge eines Diabetes mellitus gemeint. Wenn der Zucker im Blut über längere Zeit erhöht ist, kann das zu krankhaften Veränderungen am Fuss führen. Möglich sind Nervenschädigungen der Gefühlsnerven, der motorischen Nerven, die die Bewegungen auslösen sowie der autonomen Nerven, die zum Beispiel das Schwitzen, und somit die Feuchtigkeit der Haut am Fuss, steuern. Das DFS kann auch Gefässe schädigen, so dass häufig auch Durchblutungsstörungen auftreten. Diese Schäden führen zu Problemen am Fuss, beispielsweise offenen Stellen (Ulcera) speziell über Knochenvorwölbungen, ausgelöst durch nicht ganz passendes Schuhwerk. Eine eher seltene, aber schwerwiegende Komplikation ist der sogenannte Charcot-Fuss. Wegen den Nervenschädigungen kann es zu einem Zusammenbruch des Fussgewölbes kommen, wobei Knochen und Gelenk zerstört werden – und das, ohne dass die Betroffenen Schmerzen empfinden.


Ist das diabetische Fusssyndrom eine häufige Komplikation?

In der Regel sind Personen betroffen, die bereits länger an Diabetes leiden und deren Blutzucker schlecht eingestellt ist. Wenn die Werte aber über längere Zeit erhöht sind, dann kommt es zu Schädigungen an den Nerven und den Gefässen. Wie lange dies braucht, wissen wir nicht genau. Ein Grund dafür ist, dass viele Diabetikerinnen und Diabetiker mit Diabetes Typ 2 gar nicht wissen, dass sie krank sind. Damit wissen wir auch nicht, wie lange sie schon Diabetes und einen erhöhten Blutzucker haben. Als grobe Faustregel gilt: Es braucht etwa fünf Jahre mit erhöhten Blutzuckerwerten, bis es zu Schädigungen kommt.


Wie lässt sich ein diabetischer Fuss erfolgreich behandeln?

Es wird zunächst ein Risikoprofil erstellt. Hat die Person eine Nervenstörung und wie stark ist sie? Hat er oder sie Fehlformen am Fuss, z. B. einen Spreizfuss, einen Hallux valgus oder Hammerzehen? Diese Fehlformen können auch ohne Diabetes entstehen und Probleme auslösen. Der Diabetes verschärft das Problem, da Menschen mit Diabetes und Neuropathie weniger Gefühl in den Füssen haben. Wenn sie normale Schuhe anziehen, ist das Risiko gross, dass sich dort, wo es sowieso Rötungen geben kann, ein Ulkus, also eine offene Wunde, bildet. Normalerweise warnt uns der Schmerz, z.B. wenn beim Wandern eine Blase an der Ferse entsteht. Diesen Schutz durch den Schmerz haben Diabetikerinnen und Diabetiker nicht. Wenn dann noch eine Durchblutungsstörung hinzukommt, ist es noch gefährlicher. Wir versorgen die Patientinnen und Patienten nach ihrer Risikostufe. Das heisst sie brauchen spezielles, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes, orthopädisches Schuhwerk. Bei einer geringen Schädigung kann das eine Einlage sein, bei schwereren Schädigungen braucht es Schuhe nach Mass. Das Ziel ist, dass die Haut des Fusses geschlossen bleibt und keine offenen Stellen mehr auftreten.


Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit der Fachspezialisten?

Wir sind keine Diabetologinnen oder Internisten, das heisst wir sind nicht die Spezialisten für eine optimale Blutzuckereinstellung. Wir behandeln als Orthopäden alle Probleme am Fuss, ausser der Durchblutungsstörung, das ist Sache der Gefässmedizin. Die Behandlung eines diabetischen Fusses ist immer vernetzt. Sie ist in starkem Masse Teamwork. Beteiligt sind u. a. die medizinische Fusspflege, Orthopädie-Schuhtechnik, Wundpflegefachpersonen, Diabetologie, Neurologie, Angiologie und Infektiologie. Es braucht also eine ganze Reihe von Fachleuten. Bei denjenigen Spezialistinnen und Spezialisten, die wir nicht im Balgrist haben, arbeiten wir mit externen Partnern zusammen, um die Patientinnen und Patienten gemeinsam optimal zu betreuen. Die Interdisziplinarität, das Fachwissen und kurze Wege sind entscheidend. Dadurch dass die Patientinnen und Patienten meist keine Schmerzen haben, werden die Schädigungen leider oft unterschätzt und zu spät erkannt.


Das Thema von Aveniq im Rahmen der InCube Challenge war «How to improve quality of life for patients with Type 2 diabetes through smart digital solutions». Wo sehen Sie Bedarf und auch Potenzial?

Ich kann ein Beispiel nennen. Wir testen im Moment in Zusammenarbeit mit der ETH Textilien, die Informationen aufnehmen und weitergeben können. Wenn es zu einer übermässigen Belastung kommt, würden diese speziellen Socken eine Warnung an den Patienten senden. Wir arbeiten an intelligenten Systemen, die früh warnen können, die präventiv wirken, die Behandlung unterstützen und schwerwiegende Komplikationen wie eine Amputation verhindern helfen.


KD Dr. med. Thomas Böni

Der Orthopäde KD Dr. med. Thomas Böni ist Leiter Technische und Neuro-Orthopädie der Universitätsklinik Balgrist. Das Kerngebiet der Technischen Orthopädie ist die Versorgung mit orthopädischen Hilfsmitteln. Das heisst orthopädisches Schuhwerk, Schienen, Prothesen, Rollstühle. Die technische Orthopädie umfasst zudem die Behandlung des Diabetischen Fusssyndroms (DFS), die Amputationschirurgie und Stumpfkorrekturen.


Universitätsklinik Balgrist

Die Universitätsklinik Balgrist ist ein hochspezialisiertes Kompetenzzentrum für die Abklärung, Behandlung und Nachbetreuung von Schädigungen des Bewegungsapparats. Medizinisch gliedert sich das Leistungsangebot in die Bereiche Orthopädie, Paraplegiologie, Rheumatologie und physikalische Medizin, Sportmedizin, Neuro-Urologie, Chiropraktik, Radiologie sowie Anästhesiologie. Das breite Spektrum vernetzter Therapien wird ergänzt durch pflegerische Betreuung, soziale, versicherungsrechtliche und psychologische Beratung sowie berufliche Eingliederungsmassnahmen und Rehabilitation. Alle Aktivitäten sind darauf ausgerichtet, den Patientinnen und Patienten grösstmögliche Unterstützung zukommen zu lassen. In der orthopädischen Forschung und Lehre setzen die Universitätsklinik Balgrist sowie der Balgrist Campus international anerkannte Massstäbe.